Im Rahmen von COVID-19 Schutzmassnahmen wurden in einem zuvor unvorstellbaren Umfang Fakten geschaffen. Nutzen wir den Schwung daraus!

Die Corona-Krise führte innert kürzester Zeit, lokal und global, zu gewaltigen Veränderungen. Sei es im Verhalten der Menschen, bei der Nutzung von neuen Technologien oder in der Art der gesellschaftlichen Diskussion. Diese Entwicklung kann eine grosse Chance darstellen – für die Welt und ihre Bewohner und für Unternehmen. Ich greife zwei Aspekte heraus:

1. Neue Erfahrungen in der Zusammenarbeit

Ein Grossteil der am Computer Arbeitenden wurde ins Home-Office verbannt. Aufgrund von restriktiven Reiseverboten haben Mitarbeitende gelernt und geübt, mit einfachen Web-Konferenz Lösungen umzugehen. Dies unabhängig von ihren Stufen bis zu CEOs und Präsidenten, von KMUs über globale Konzerne zu Regierungen.

2. Offenere und radikalere gesellschaftliche Diskussionen

Das Ausmass und Tempo des globalen Shutdowns und der daraus resultierenden wirtschaftlichen Konsequenzen haben dazu geführt, dass im gesellschaftlichen Diskurs Tabus angekratzt wurden. Zum Beispiel werden die Verhältnismässigkeit von Massnahmen, Güterabwägungen und der tragbare Preis eines Menschenlebensjahres in einer Offenheit diskutiert, welche ich vorher nicht erlebt habe.

Wo könnte das hinführen?

Bei allem Lästern über Home-Office und Web-Konferenzen – es gibt viele positive Aspekte. Durch den Wegfall des Reisens spart man Zeit und Geld. Persönliche Treffen können nicht in Gänze ersetzt, aber zur Hälfte virtuell durchgeführt werden ohne Nachteil für die Zusammenarbeit. Die gewonnene Zeit liesse sich besser nutzen. Bei den verbleibenden Treffen kann der Fokus auf dem bewussten Kennenlernen liegen – mehr Qualität und Intensität!

Ich erlebe in diesen Tagen unterschiedliche Reaktionen zum Thema Home-Office: Von kritisch und ‘old school’ – «die Angestellten hocken nur in ihren Gärten und tun nichts» über neutral-positiv bis zu enthusiastisch «teilweise sind die Tage so intensiv und die Web-Konferenzen so dicht aneinander gereiht, dass ich vergesse, auf die Toilette zu gehen».

Wir wollen auch nach dem Abflauen der Krise von den gemachten Erfahrungen profitieren! Ein permanentes Home-Office wird zwar aus vielerlei Hinsicht kaum das ideale Modell für die Zukunft sein; ein oder zwei Tage pro Woche aber schon. Machen wir ein Gedankenexperiment: Ein Drittel der Werktätigen würde in Zukunft an einem Tag pro Woche von zu Hause arbeiten – dies ergibt rechnerisch eine 6.7% Reduktion von Pendlern und Geschäftsreisenden. Die Auswirkungen auf Produktivität und Wohlbefinden wären durchaus erfreulich! Dank Entlastung der Transportsysteme gibt es weniger Staus und volle Züge, dafür steigt die Pünktlichkeit wieder. Ausser den privatwirt-schaftlichen Firmen im Transportwesen profitieren alle. Bei Mitarbeitenden im Büro betragen die Reduktionen sogar 20% – so können Unternehmen durch kleinere Büroflächen richtig Geld sparen! 

Auf persönlicher Ebene gibt es ebenfalls positive Seiten. In der Presse kommen vor allem Fachleute zu Wort, welche über «Stress am Küchentisch» und die «zunehmende Gefahr von häuslicher Gewalt» berichten. Einmal pro Woche mit den Kindern Mittagessen und eine zusätzliche Stunde Sport treiben scheint mir, bei gleichbleibender beruflicher Produktivität, jedoch nicht nur verkehrt. Ich gebe zu, dass ich bestimmte Nebenwirkungen der Corona-Krise durchaus geniesse…

Die veränderten gesellschaftlichen Diskussionen habe ich zuerst vor allem im persönlichen Umfeld beobachtet, später auch in der Presse und im politischen Diskurs. Trotz mehrmonatigen Erfahrungen schwanken die Positionen immer noch zwischen «es ist eine etwas stärkere Grippe, mit Toten müssen wir umgehen, die Massnahmen müssen verhältnismässig bleiben» und «Menschenleben müssen um jeden Preis gerettet und das Gesundheitssystem darf auf keinen Fall überlastet werden» hin und her.

Die extremen Massnahmen führen uns vor Augen, dass die Art wie wir leben und wirtschaften nicht fest vordefiniert, sondern der Ausdruck einer Wahl ist und jederzeit geändert werden kann. Zum Beispiel ist der Flughafen Zürich aktuell (mit 5 Abflügen am 14. April 2020) ein ruhiges Bioreservat, weil unsere Regierungen dies via weitreichende und von den Bevölkerungen mitgetragene Reise-beschränkungen so entschieden haben. Entscheidungen haben aber immer einen Preis. Es gäbe noch viele fundamentale Themen, welche wir als fest vordefiniert empfinden und wo eine offene Diskussion nottut – z.B. in der Altersversorgung oder bei Umweltthemen. Nutzen wir den Schwung der aktuell geschaffenen Fakten um weitere offene Diskussionen anzustossen!

Welche Relevanz hat das für Unternehmen?

Als Unternehmensberater ist es nicht mein Ziel, in Sozialromantik zu schwelgen, sondern Themen mit Relevanz für Firmen aufzunehmen. Aus den beiden Beobachtungen im Bereich der Zusammenarbeit und der gesellschaftlichen Diskussion ergeben sich eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten und Opportunitäten für Unternehmen. Zuallererst im Bereich Planung, Design und Konzepterstellung – für beratende Berufsleute als auch Funktionsträger in den Unternehmen. Die Zeit ist reif, wieder etwas mehr radikale denn nur inkrementelle Konzeptänderungen zu denken, propagieren, diskutieren, auszuprobieren und möglicherweise permanent einzuführen. Und dies gilt für alle Institutionen und Ebenen. In diesem Sinne könnte die Corona-Krise einen Impuls und Schwung auslösen, von dem wir alle profitieren können.